Das Anbauverbot hat eine eigene, ursprünglich nationale Vorgeschichte. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts machen sich im "Schmelztiegel" USA verschiedene, bis dahin sozial randständige Subkulturen, vor allem die afrikastämmigen, zunehmend selbst-bewußt bemerkbar. Das beunruhigt die eingesessenen christlichen weißen Führungsschichten ganz erheblich. Lautstarkes Symbol dieser Entwicklung wird der Jazz. Als der in den 20er Jahren stark an Popularität bei den weißen Jugendlichen gewinnt, kommen diese jungen Leute auch mit der "typischen" Droge der Jazzmusiker in Kontakt, dem Marihuana. Der Elterngeneration - alkoholgewöhnt und zur Zeit gerade offiziell nüchtern, denn es herrscht die Prohibition - ist das in Verbindung mit der schrägen Musik gar nicht geheuer.
1933 beendet die Regierung offiziell die Prohibition, den fruchtlosen Versuch, das amerikanische Volk trockenzulegen. In deren 14jähriger Geschichte ist aber ein ca. 6000 Köpfe starker Beamtenapparat zu Verwaltung und Kontrolle des Alkoholverbots geschaffen worden, der nun eigentlich arbeitslos wäre...
...wenn nicht ein findiger Mensch namens Harry J. Anslinger auf die Idee käme, diese nun einmal vorhandenen Arbeitskräfte nun genauso gegen Marihuana einzusetzen, wie sie vorher gegen Alkohol eingesetzt worden sind. Das soziale und politische Klima ist der Idee günstig: die weiße Mehrheit hat, wie beschrieben, so ihre kleinen Sorgen mit den anderen Kulturen im Lande und ihre großen Sorgen mit der Wirtschaftskrise. In solchen Situationen kommt ein Sündenbock meist gut an.
Und den präsentiert Anslinger den Amerikanern. In einer systematischen Kampagne, die sich in Ton, Gestus und Wahrheitsliebe in nichts von den Inszenierungen eines Goebbels unterscheidet, wird Marihuana zum "killer weed" gestempelt, das die brave weiße jugend Amerikas in Lebensgefahr bringt. 1942 wird schließlich ein komplettes Hanfverbot durchgesetzt.
Was natürlich nicht möglich wäre, wenn sich nicht völlig andere als jugendschützeri-sche Interessen um Anslingers Banner scharen würden. Quasi hinter den Kulissen wiederholt sich jetzt in den USA, was im 19. Jahrhundert in Europa ohne moralisches Brimborium über die Bühne gegangen ist: die Substitution der Nutzpflanze Hanf durch andere Substanzen.
Anders als in Europa, gibt es nämlich in den USA im ersten Drittel des 20. Jahrhun-derts noch eine beachtliche Hanfwirtschaft. Und sie vom Markt zu drängen, ist in den Vereinigten Staaten schwieriger als in Europa, denn jenseits des Atlantiks hat der Hanf seit den Kolonialzeiten große symbolische Bedeutung (er galt zeitweise sogar als Zahlungsmittel), die auch nach der Unabhängigkeit erhalten bleibt. Wer in den USA aus rein ökonomischen Erwägungen heraus den Hanf durch andere Stoffe ersetzen wollte, mußte gleichzeitig mit dieser symbolischen Bedeutung fertig werden.
Und genau das bietet Anslingers Kampagne: sie diskreditiert den Hanf im ganzen, unabhängig von THC-Gehalt und Nutzung im einzelnen, während die wirtschaftliche Macht der Papier- und der Faserindustrie (Hanf ist ein starker Konkurrent für die noch jungen, aber ungemein gewinnversprechenden Synthetikfasern) ihr wiederum jenen Nachdruck verleiht, der schließlich den Erfolg bringt.
Mit seinem etwas geschmacklosen Gespinst aus Lügen (Anslinger erfindet z.B. die seitdem immer wieder gern gesungene Moritat vom Hanf als "Einstiegsdroge"), Intri-gen, substanziellen Interessen und sozialen Ängsten gelingt es Anslinger jedenfalls, den Hanf auch in den USA zum Verschwinden zu bringen. Und weil die USA aus dem Zweiten Weltkrieg endgültig als Weltmacht hervorgehen, kann Anslinger in den 50er Jahren, mittlerweile für die Vereinten Nationen tätig, sein Schelmenstück auf der weltpolitischen Bühne noch einmal aufführen. 1961 wird die Single Convention verabschiedet, die das weltweite Anbauverbot für Hanf unter schrittweiser Substitution durch andere Nutzpflanzen vorsieht. Nur wissenschaftliche Zwecke oder Anbau im öffentlichen Interesse sind davon ausgenommen.
So also kommt es aus wirtschaftlichen Motiven unter dem Vorwand moralischer und gesundheitlicher Gefährdungen zum Gnadenstoß für eine vielfältig verwendbare Nutzpflanze. Gleichzeitig greift die UNO unter amerikanischer Führung damit auch massiv in zahlreiche Regionalkulturen ein, denn in Afrika und Asien ist Hanf nach wie vor eine Kulturpflanze, und Haschisch ist dort in seinen verschiedenen Variationen ein integriertes Rauschmittel.
Was dieser Eingriff bedeutet, kann man sich klarmachen, wenn man die Verhältnisse probeweise einmal umdreht. Nehmen wir an, die arabischen Nationen hätten den Zweiten Weltkrieg gewonnen und anschließend ihre Weltmachtstellung ausgenutzt, um mithilfe der UNO weltweit den Alkohol verbieten zu lassen, dem der Islam ja bekanntlich nicht sehr freundlich gegenübersteht. Dann wären wir Europäer heute gezwungen, unser Feierabendbierchen oder unseren Tafelwein heimlich bei einem mehr oder weniger zwielichtigen Dealer zu besorgen und dabei für ungewisse Qualität horrende Preise zu bezahlen. Eine absurde Vorstellung? Aber genau das ist den Kulturen widerfahren, die, statt ein Bierchen zu trinken, am Feierabend lieber ein Pfeifchen rauchen.