Hier ne geile story von der weltwoche über SF DRS die voll zutrifft:
Das Eckige muss ins Runde
Von Thomas Widmer
Ein durchschnittlicher Mensch kann fünf Tage ohne Wasser überleben – aber auch 28 Tage mit Schweizer Fernsehen? Ein Selbstversuch.
21. März - Gleich der erste Abend meines vierwöchigen TV-Marathons beschert mir wonniges Gruseln. Ich meine nicht den Sänger Michael von der Heide, Stargast bei Eiger, Mönch & Maier auf SF DRS, dessen Ohren zwischen manieriert überlangen Koteletten und manieriert überlangen Haarsträhnen hervorlugen wie die monströsen Lauscher eines Trolls. Und ich meine auch nicht Ex-Tennis-Crack Martina Hingis, die im Werbeblock einen Steamer der Marke Zug so emotionsarm propagiert, als hätten Aliens ihre Seele gekapert. Ich rede von der Gesundheitssendung Puls zum Thema «Hodenhochstand». Nachdem die Familie Neuner-Jehle eingeführt worden ist samt dem kleinen Nicolas, dessen einer Hoden den Leistenkanal nicht verlassen will, und nachdem der Chirurg klargestellt hat: «En Hode ghört in Hodesack», geht es sofort los. Nun sind wir im Operationssaal. Ein Skalpell trennt Nicolas’ Leiste auf. Voilà, da ist der störrische Hoden ja, der nun mittels einer Zange, die von unten durch ein zweites Loch im Hodensack zugreift, samt Samenstrang an den richtigen Ort gezurrt wird. Soll ich mir einen Cognac gönnen, überlege ich noch, da kommt der zweite Beitrag. Wieder Operation. Ein Mann, der seine Glatze nicht hinnehmen will, wird teilskalpiert. Haar um Haar präpariert das Ärzteteam nun aus dem gesunden Hautstreifen und pflanzt es in die Problemzone um. Eine erstaunlich blutige Prozedur. Der anschliessende Kurzbeitrag über die Rückkehr der Syphilis ist mit dem Foto eines Penisgeschwürs spektakulär illustriert. Alles in allem eine Sendung, in der medizinische Aufklärung und kurzweilige Schockeffekte sich ideal ergänzen. Bereits freue ich mich auf die Ausgabe nach Ostern, die mich persönlich anspricht. Ihr Thema wird sein: «Wie krank muss man sein, um eine IV-Rente zu beziehen?»
22. März - Der Kassensturz-Moderator Ueli Schmezer kündigt den «ultimativen Samentest» an. Schon wieder Hoden? Nein, es geht um Basilikum. Zudem werden Sommerreifen getestet, klagt ein Rentner über die massiven Gebühren seiner Versicherung, berichtet ein jüngerer Mann über eine Spannungsschwankung im Stromnetz, die seinen Stereo ruiniert hat, und schwärmt eine Journalistin in Schulmensen aus, um die Menüs aus ernährungstechnischer Sicht zu prüfen. Schliesslich steht die Kanti Reussbühl als Verliererin da. Ihre Kügelipastete war viel zu fettig, was die Kalorienzahl auf 1040 hochgetrieben hat. Skandal! Service public sei Dank gibt es diese investigativ gesinnte Sendung, die für den auf so manchem Schauplatz des Lebens geschundenen Konsumenten unverdrossen in den Kampf zieht. – Später am Abend, nachdem Stephan Klapproth anlässlich des Lufthansa-Swiss-Deals das Magazin 10 vor 10 mit den Worten eingekräht hat: «Guten Abend, der Kranich ist gelandet», will ich mit Stuckrad bei den Schweizern chillouten. Der Reporter hampelt aber so nervig durch St. Moritz, dass ich um meiner Nachtruhe willen nach zehn Minuten aufgebe. Ohnehin ist der Zyniker, da ihn alles langweilt, die langweiligste aller Menschengattungen.
23. März - Die Rundschau rapportiert aus Ebnat-Kappel im Toggenburg. Dort predigt ein Sektenführer Grundsätze wie: «S Tanze förderet d Huererei.» Laut dem Sektenexperten Georg Schmid hat sich der Mann radikalisiert, nachdem ums Jahr 2000 der von ihm angekündigte Weltuntergang nicht stattfand. Verstehe ich gut, solche Berufsfehler demütigen einen Profi enorm, so dass er sich durchaus charakterlich verhärten kann. – Danach Nickerchen auf dem Sofa. Als ich wieder erwache, denke ich: Mein Gott, bin ich gestorben? Auf dem Bildschirm gleisst es so überhell wie in jenen Filmen, in denen einer im Jenseits zu sich kommt; das Set von Kulturplatz rund um Moderatorin Eva Wannenmacher besteht aus konturlos weissem Raum, was zu dem aus der Polarforschung bekannten Phänomen des «White-out» führt, bei dem die optische Verschmelzung von Boden und Horizont im Betrachter starken Schwindel erzeugt. Der Hauptbeitrag behandelt die Weltausstellung in Japan, zeigt hässliche Pavillons, synthetisch flimmernde Computerschirme, technische Gadgets, schwafelnde Ausstellungsmacher. Nicht schon wieder Expo, bitte, bitte nicht!
24. März - Um 20 Uhr ein Dokfilm über Nasenaffen in Borneo, die dort «Holländeraffen» genannt werden, weil die Holländer, wenn sie sich zu sehr der Sonne aussetzen, genau diese Art von roter Nase kriegen. Protagonist ist ein Affe, den die Filmer «Pinocchio» getauft haben. Der Name erklärt sich selbst (lange Nase). Aber wieso zum Teufel heisst das rammlige Männchen, das Pinocchio dessen Harem abspenstig machen will, Bill? Bill wie in Clinton? – Vor dem Einschlafen Aeschbacher. Der Talkmaster ist keineswegs der sensible Gesprächsführer, der er gern wäre; er ist durchsichtig in seinem Bemühen, jeden Gast innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne abzuwickeln. Mit einer Meeresfotografin plaudert er ein paar Minuten über die schöne Unterwasserwelt, um dann schauderhaft abrupt auf den Suizid ihres Lebenspartners («Hets nech verletzt?») zu schwenken. Hernach lenkt er sie unsubtil hin zu dem Banalfazit, dass die Schwerelosigkeit des Tauchens von den Schmerzen des Lebens befreit.
25. März - Karfreitag. Am Morgen früh schaue ich kurz bei SF DRS rein und gerate an die Bilder einer Toggenburger Wetterkamera. Die lokalen Touristiker werben für ihr Gebiet mit dem Slogan «Kinder essen gratis». Hoffentlich missversteht das kein Kannibale.
26. März - Im Wort zum Sonntag spricht eine deutsche Pfarrerin. Betont locker lehnt sie gegen eine mäuerchenartige Requisite und erzählt die Geschichte von dem Jungen, der Blume und dem Tod. Ostern symbolisiere, dass die Liebe den Tod überdauert, erläutert die Frau ihre Parabel. Aber es sei natürlich auch klar: «Ostan vahindat nich, dass wia eines Tages steaben müssn.»
27. März - «Der kranke Papst war kaum in der Lage, den Segen urbi et orbi zu sprechen», sagt Stefan Tabacznik in der Früh-Tagesschau. Tabacznik, ein sympathischer Kerl, redet selber so, als hätte er Kartoffelmus im Mund. Zu meinem Antihelden der Sprechtechnik wird in diesen Tagebuchwochen ein anderer: Zürich-Korrespondent Christian Lipp. Was er hervorbringt, ist ein heiser von der hinteren Gaumenregion her in die Öffentlichkeit gepresstes Stöhnen in Wortform, sicher kann er jederzeit die Stimme eines Sterbenden perfekt synchronisieren. Die Tagesschau schliesst mit dem obligaten Festtags-Kulturbericht, der in Launigkeit von einer Ausstellung berichtet: «In Freiburg tanzen zauberhaft verzierte Eier einen bunten Osterreigen.» – Die frühabendliche Schlagerparade Hit auf Hit in den Schweizer Alpen gipfelt daraufhin im Auftritt Nana Mouskouris auf der Schatzalp oberhalb von Davos. «Du musst mich begleiten, durch diese herzlos kalten Zeiten», singt sie und blickt dabei so leidvoll durch ihre schwarze Hornbrille, dass in mir der Verdacht aufkommt, es plage ihren Magen das Käsefondue, das sie zuvor mit Moderator Leonard verspiesen hat. – Um acht Gesundheit Sprechstunde mit Dr. Samuel Stutz zur Volkskrankheit Rheuma. Stargast ist Kathrin Rüegg, Buchautorin und Kochsendungspräsentatorin. Ihr Knie mache ihr zu schaffen, klagt sie, krempelt auf Kommando speditiv das eine Hosenbein hoch, legt sich auf einen Schragen und erhält vom hinzutretenden Orthopäden nach kurzer, doch schmerzvoller Untersuchung gleich die Diagnose: «e fortgschrittni wüeschti Arthrose». Doch dann kommt Hoffnung auf. Forsch betritt dank künstlichen Kniegelenken eine Greisin das Studio, die zu Fuss bald den ganzen Jakobsweg beschreiten will und gerne die Operation schildert, die ihr die Gehfähigkeit zurückbrachte. Als ich den Fernseher ausschalte, tut mir alles weh.
28. März - Schon wieder der Trailer, der auf das neue Peoplemagazin Glanz & Gloria hinweist. Umringt von den Gästen einer grösseren Party, tanzen Roger Schawinski und Tina Turner mit verhakten Händen einen schnellen Tanz, der aber eigentlich wirkt wie ein Ringkampf. Schawinski windet sich so gequält, als verdrehe ihm Turner die Finger.
29. März - Da ich davon ausgehe, dass die Rätoromanen auf dem gleichen geistigen Niveau funktionieren wie unsereins Flachländer, frage ich mich, wie sie ihr eigenes Fernsehen ertragen. Heute, am Dienstag nach Ostern, bietet Telesguard ein Feature über einen Osterbrauch in Sagogn, bei dem Kinder Eier einen Hang runterkullern lassen, und serviert dann ein noch unspannenderes Interview mit einem Bierbrauer aus Tschlin. Schaut man dergleichen wirklich, bloss weil es einem in der Muttersprache vorgesetzt wird?
30. März - Schlagersänger Leonard klagt im Blick, seine Plattenfirma realisiere nicht, «dass ich ein Typ mit Ecken und Kanten bin». Richtig erkannt, Leonard, Sie haben dieses Problem: In Hit auf Hit in den Schweizer Alpen vor drei Tagen waren Sie ein schlimmer Säusler und Konturenabhobler vor dem Herrn; falls daran Ihre Plattenfirma schuld sein sollte, dann müssen Sie handeln! – Abends Fussballländerspiel Schweiz gegen Zypern. Wiedersehen mit Co-Kommentator Alain Sutter, der wie Tage zuvor bei Frankreich – Schweiz einen langen Jeansmantel mit einem breiten Wollkragen trägt, dessen hellbraune Farbe exakt zu seinem im 45-Grad-Winkel Richtung Welt ragenden Bärtchen assortiert ist. Zieht man auch die unordentlich langen Haare und den stechenden Blick in Betracht, so landet man beschreibungsmässig exakt in der Mitte zwischen jungem Rasputin und Prinz-Eisenherz-lebt-jetzt-im-Obdachlosenheim. Als Sutter dem Spieler Cabanas in der Art eines Psychotherapeuten gefühlsbetonte Fragen stellt, die Tiefgang suggerieren («Wie hesch du dis Schpil selber erläbt?»), steht der robuste Sportreporter Matthias Hüppi so unglücklich daneben, als handle es sich bei Sutter um einen Volontär, der versprochen hat, bei dem Interview nur zuzuhören, und nun ergreift er doch das Wort, und Hüppi kann nichts dagegen tun, denn die ganze Schweiz schaut zu.
31. März - Netz Natur führt zu den Faultieren im Dschungel Guyanas, wo es laut Moderator Andreas Moser «unglaubligg fiecht» ist und es «kuchligi Tiech» hat (Moser ist Basler). Beim Wettrennen der Faultiermännchen einen Baum hoch ist das Ziel ein Weibchen. Amüsante Kraxelei im Zeitlupentempo; als klar wird, welches Tier gewinnt, drehen die anderen ab. Später bei der Paarung des Siegermännchens mit dem Weibchen dieselbe Gemächlichkeit. Für eine Darmentleerung braucht das Faultier eine Woche, dafür kann es den Kopf um 270 Grad drehen. Es ist damit der ideale Gaffer.
1. April - Arena über die Politverdrossenheit der Schweizer. SVP-Nationalrat Toni Brunner redet ein verwaschenes, doch kohärentes Toggenburgerisch. Das Wort «Parteien» aber klingt bei ihm zürcherunterländerisch-schaffhauserisch wie bei seinem Mentor Christoph Blocher («Parteye»). Ein linguistischer Fall von Überidentifikation.
2. April - 15-minütige Sendung namens LiteraTour de Suisse über Guido Bachmann im SF-DRS-Nachmittagsprogramm. Bei einer Lesung schmettert der Schriftsteller und Schauspieler mehrmals in aufsteigender Intensität den Satz Richtung Publikum: «Ich bin kein Schweizer.» Des Weiteren wird die Schweiz in seinem Buch als «von den Banken und der Polizei choreografiertes Trampelballett» tituliert. Hernach steht der heimatverdrossene Glatzkopf dem Filmer Red und Antwort. Warum er denn noch in der Schweiz lebe, wird er gefragt. «Das mag jetzt Bequemlichkeit sein», antwortet Bachmann kleinlaut. Dem Abspann entnehme ich, dass der Film 1998 gedreht wurde. Eben, ich glaubte zu wissen, dass Guido Bachmann schon einige Zeit tot ist. – Am Abend VIParade mit Sven Epiney. Am Vortag sah ich ihn im neuen Kurzquiz 5 gegen 5, wo er am rechten Ort ist, auch wenn mein Freund, der Weltwoche-TV-Kolumnist Gion Cavelty, mich darauf hinweist, dass dieselbe Show im deutschen Fernsehen viel lustiger sei und die Schweizer Version ein biederer Abklatsch. Genau darum passt der dauergrinsende Bub ja ins Konzept, Gion! Nicht gerade ein Beleg für den Talentreichtum des Schweizer Fernsehens im Übrigen, dass Epiney innerhalb einer Woche mit vier Sendungen achtmal auf dem Bildschirm erscheint (da sind auch noch die Kochsendung Al dente und die musikalische Reise Fensterplatz). Selten entfaltete im TV so wenig Persönlichkeit so viel Präsenz. Jetzt, in der VIParade, begrüsst Epiney seine Fernsehkollegin Anna Maier; aha, man rezykliert sich fernsehintern. Zu den «sächs würklech grosse VIPs» laut Epiney gehört ausserdem Erich von Däniken, der Weltmeister des geschmacklosen Sakkos (an diesem Abend ist es eines in besonders schmerzhaftem Blau).
3. April - Satiresendung Café Bâle. Der Humor nährt sich praktisch ausschliesslich von sprachlichen Missverständnissen, man kann offenbar als TV-Spasstexter bestehen, wenn man Ideen hat wie diejenige, «Alibi» und «Alibaba» lustig zu assoziieren. Den Ausdruck «Alibi» nämlich erklärt das Dummchen Desirée mit dem Zusatz: «der mit den 40 Räubern». Später unterhalten sich ein Macho-Wirt und eine junge Kellnerin. Sie sagt zu ihm: «Ich schreibe.» Worauf er sagt: «Ich schreibe auch. Rote Zahlen.» Dann fährt sie fort: «Und ich schreibe über Ethik. – Aha, mit Latex und so. – Nein, nicht Erotik, Ethik.» Bemerkenswert im Übrigen, wie penetrant die ganze Zeit in der Basler Zeitung geblättert wird. Im Abspann lese ich: Die Basler Zeitung gehört zu den Sponsoren.
4. April - Ein Ausflug zum Privatsender Tele Züri, dessen Abendprogramm den Vorteil hat, dass es bloss eine Stunde dauert. Talk zum Tod des Papstes mit Weihbischof Peter Henrici. Als es Zeit für die Publikumsfragen ist, ruft eine alte Frau an und sagt in unterwürfigem Ton: «Ich möcht de Herr Weihbischof begrüesse. Ich bin e Fründin gsi vo Ihrer Mueter, Herr Bischof. Danke vielmal, dass Sie a dere Sändig teilnähmid, Herr Weihbischof.» Das war das ganze Votum, Henrici lächelt milde. Nachher kommt im Werbeblock wieder einmal mein Lieblingsspot: Man sieht einen Mann um die fünfzig in einer blauweissen Berufsschürze, der sagt: «Grüezi, min Name isch Fischer vo de Bettwarefabrik Fischer in Wädischwil.» Dann spaziert er durch seine Firma und erklärt vor einer Wäschetrommel mit grossem Stolz: «Da ine werded d Fädere vo de tote Tier gwäsche.» In den anschliessenden Nachrichten gibt es einen Beitrag über die erste Zürcher Leichensuchhündin, die mit einem echten Leichentuch übt. Fast wird mir ein wenig schlecht, da sind wir wieder bei Henrici, der in der Diskussion sagt: «Dür s päpschtlichi Outfit het immer de Mensch düregschtrahlet.»
5. April - Kurz vor Mitternacht zu Hause. Ich schaue mir die Aufzeichnung der amerikanischen Serie Schwuler Blick macht Heteros schick auf SF 2 an. Sehr lustig. Fünf New Yorker Schwule fahren in einem Station Wagon zu einem Heteropärchen auf Staten Island. Ihre Mission: «Rekindling the Romance» oder zu Deutsch (das löblicherweise in Untertiteln beigegeben wird): die verlorene Romantik zurückbringen. Mit den Worten «Die Vagina verlässt das Nest» zieht sich die schöne Ayanna für einige Stunden aus dem gemeinsamen Heim zurück. Und die fünf Jungs machen sich an die kosmetische Aufwertung des Polizisten John. «Du musst deine Zehennägel schneiden, bevor sie zur Waffe werden», schärft ihm Körperpflegeexperte Kyan ein. Danach tapeziert die Stylecrew im Schnellgang die Wände heller, entrümpelt die Küche, stellt neue, kuhfellbezogene Stühle auf. Und John muss mit Modeberater Carson in einen Beautyshop, wo er unter Einsatz von viel Melatonin-Stimulierspray binnen kurzem selektiv gebräunt wird, so dass durch das Spiel von Hell und Dunkel seine Muskeln hervortreten. Schliesslich, nachdem John gelernt hat, wie man eine Spargel-Pasta-Tarte piemontesischen Stils zubereitet, kulminiert alles in dem romantischen Picknick Johns mit Ayanna in einem Chinagarten. Als John Ayanna seinen schokobeschmierten Finger zum Abschlecken hinstreckt, tunten die Jungs, die das Tun ihrer Kreatur aus der Ferne per Kamera mitverfolgen: «Grosse braune Klumpen an den Fingern, uuuh, in unserer Community wird das missbilligt.»
6. April - Vorabendprogramm des Privatsenders U1, Astrosendung mit Mike Shiva. «Jetzt kommt die Energieübertragung», sagt Shiva, man solle es sich bequem machen. Ich schliesse die Augen. Als ich sie wieder öffne, füllt Shivas Gesicht mit den buschigen Brauen den Bildschirm, dass ich erschrecke. Später die News: «Fürst Rainer» von Monaco sei heute verstorben, sagt der Sprecher. Dann die Gesundheitssendung Vitalissimo. Die Moderatorin ist so heiser, dass ihre Stimme während des Gesprächs mit einem Naturarzt, der ein Skelett schwenkt, immer wieder aussetzt. – Und rüber zu SF 1, Peoplemagazin Glanz & Gloria. Schon zum zweiten Mal in zwei Wochen wird zum Thema Charles und Camilla ein Mariano Tschuor als «Royals-Experte» befragt. Wer ist Mariano Tschuor? Die Google-Recherche ergibt: Er ist der Leiter des rätoromanischen Fernsehens. Aber wieso ist er auch ein Royals-Experte? Und kann man diesen Titel in einem Fachhochschulstudium erwerben? Ein stilloser Moment, als Tschuor Prinz Charles einen «geilen Bock» nennt.
7.April- Fernsehfrei, ein Menschenrecht.
8.April-Um 09.36 schaltet das Schweizer Fernsehen nach Rom zur Papstbeerdigung. Ich sehe Prinz Charles, der eben von einem Kardinal begrüsst wird und vielleicht gar nicht weiss, dass er zwei Tage zuvor als «geiler Bock» bezeichnet wurde. Die Kamera schweift durch die Menge der Staatsmänner, gekrönten Häupter und Kleriker. US-Präsident Bush wirkt ohne Leibwächter so unvollständig wie ein Gehbehinderter ohne Krücken. Um Mittag schalte ich mit einem boshaften Gefühl wieder ab: Wetten, dass die Kirchen in den kommenden Wochen kein bisschen weniger leer sein werden? Und dass die gleichen Leute, die heute den Papst betrauern, morgen wieder fröhlich sündigen werden?
9. April - Wiedersehen mit Royals-Experte Mariano Tschuor, er kommentiert die Hochzeit von Charles und Camilla. Kurios, wie er mit Englandkorrespondent Florian Inhauser umgeht; er nennt ihn zeitweise beim Vornamen und siezt ihn gleichzeitig, als sei er, Tschuor, Lehrer an einem Gymnasium und Inhauser sein Lieblingsmaturand. Eine der seltsameren Fragen an Florian: «Ich sehe, dass Sie sich herausgeputzt haben, ist das eine Krone da auf Ihrer Krawatte?» Inhauser wehrt verwirrt ab, nein, das sei keineswegs eine Krone, sondern ein Punkt im Krawattenmuster. Im Übrigen nennt Tschuor Camilla die «Herzogin von Cornwell», was einen Buchstaben daneben ist, und die verblichene Königinmutter nennt er «Queen Mäm».
10. April - Hans Juckers knarzende Stimme anlässlich des Radrennens Paris–Roubaix vertreibt mich auf Tele Züri, wo sich Markus Gilli kompetent durch die Zürcher Regierungsratswahl schlägt. Wenn er bloss nicht dauernd versuchen würde, seinem Gesicht, das dies nicht will, ein Lächeln aufzuzwingen. Als der Verlierer der Wahl, Bruno Heinzelmann, vor Ort interviewt wird, streckt ein Lokalradio-Kindersoldat sein Mikrofon unter so obszön automatenhaftem Kaugummikauen dazwischen, dass man ihn nacherziehen möchte. Später in den «News» eine Geschichte über ein Ehepaar Furter, bei dem immer wieder eingebrochen wird. Die letzte Einstellung zeigt die zwei uralten Leutchen auf dem Sofa und daneben, auch auf dem Sofa, den Reporter, dessen Kommentar mit dem Satz endet: «D Angscht aber, die blibt.» Ich bin enttäuscht, dass er nicht die Standardfloskel nachgeschoben hat, die in diesem Fall gelautet hätte: «Live us em Wohnzimmer vo de Furters für Tele Züri, de Igor Zilincan.» – Retour zu SF DRS und der Tagesschau, in der viel schlechtes Deutsch zu hören ist. «Was machen Sie in Zukunft anderst», wird SVP-Generalsekretär Gregor A. Rutz anlässlich des Debakels in Zürich gefragt. Themenwechsel, Wahlen in Neuenburg. Auf dem Bildschirm erscheint Jurakorrespondent Bruno Bossart. Schweissige Stirn und ein Schnauz, der auf beiden Seiten weit nach aussen wuchert und dann, der Schwerkraft endlich doch sich ergebend, eine gute Strecke nach unten hängt. Sind wir hier am Thuner Drehorgelfestival? Sind wir in einem Film von Alain Tanner mit einem altlinken Rotweinbauern als traurigem Helden? Oder strebt Bossart eine Karriere als Double des Bauernmilitanzlers José Bové an?
11. April - Gleich drei neue Serien aus Amerika. Desperate Housewives um vier Hausfrauen aus der gehobenen Vorstadt ist pure Industriefiktion, aber dies auf bestem Niveau: hoch getaktete Pointen, sauber designte Figuren, smarte Dialoge, exakt berechnete und getimte Humorwirkungen. Auch die Inselabenteuerserie Lost, die zu gleichen Teilen «Robinson Crusoe», «Jurassic Park» und «Herr der Fliegen» mixt, ist von der unbarmherzigen Intention geprägt, den Zuschauer keinen Moment lang sich selbst und den eigenen Fantasien zu überlassen, sondern ihn permanent mit neuen Rätseln zu motivieren und zu involvieren. Schliesslich die Zweitweltkriegsserie Wir waren wie Brüder: grössere Räume, längere Handlungsbögen, mehr Tiefe der Charaktere, ich atme auf. Ein kurzweiliger Abend. Gut eingekauft, SF DRS!
12. April - Meine Lieblingssendung Schweiz aktuell zeigt ein Dutzend Leute im Hallenbad. Durchschnittskörper, vielleicht mit einem Stich ins Angefettete, Unsportliche, Untersetzt-Pummelige, ich denke bei der ersten Einstellung an eine Reha-Klinik. Bei der traurigen Truppe handelt es sich um die Stadtberner Bademeister, die vom Sportamt zu einem Fitnesskurs verdonnert wurden. – Stunden später Wiedersehen mit Benjamin von Stuckrad-Barre, den ich in meinem Eintrag vom 22. März als «Zyniker» taxierte. In Stuckrad bei den Schweizern trifft er diesmal Ex-Miss-Schweiz Melanie Winiger, die in Los Angeles in der Lee-Strasberg-Schule das Schauspielern erlernt haben will. Er fragt sie, wie genau das berühmte «Method Acting» funktioniere. Winiger antwortet, man müsse sich, bevor man eine Emotion nachspielt, in diese hineinversetzen. Zum Beispiel Traurigsein: «Stell dir vor, Benjamin, wie das war, als jemand aus deinem engen Umfeld gestorben ist.» Daraufhin Stuckrad-Barre wie aus der Pistole geschossen und mit begeisterter Stimme: «Erbschaft, oh yeesssss!» An dieser Stelle muss ich lachen, weil ich offenbar auch ein Zyniker bin.
13. April - Die Tagesschau endet mit einer Frau, die wilde italienische Gesänge intoniert; laut der einschläfernden Kulturjournalistin Annette Freitag beschwört die Veranstaltung «Notte Siciliana» «Bilder, die man mit dem Herzen sieht». Seltsame Tagesschau, sie leistet sich immer wieder solche Profilverwischungen, kommt dann als Matura-Projektwochen-TV daher und soll doch das Flaggschiff der SF- DRS-Information sein.
14. April - Trailer zu Reporter auf SF 1: «Sein Haus, seine Frau, sein Chauffeur», heisst es da, wozu die entsprechenden Bilder eingeblendet sind, «Jürg Marquard hat erreicht, wovon andere nur träumen.» Bemerkenswerte Rangierung der Trophäen. Das Porträt zeigt Marquard, wie er seinen Chauffeur auf einen Kratzer im Bentley hinweist: «Gabriele, what is this?» So lernen wir Herrn Marquard näher kennen, der am Sonntag mit Traumjob starten wird. Drei Tage zuvor hat er in Eiger, Mönch & Maier gesagt: «Meine Sekretärin ist in ständigem Wettkampf mit meinem Butler, wer den besseren Cappuccino macht.»
15. April - Retro im Nachmittagsprogramm mit Archiv-Trouvaillen. Der greise Schauspieler Edi Huber erzählt, wie er in den Pionierzeiten des Mediums als Ölscheich verkleidet in Luzern am Bahnhof ein Taxi nahm und am Ziel in Tribschen mit einem Goldbarren zahlen wollte, den er aus dem Koffer zog. Die Szene wurde mit der versteckten Kamera gefilmt. Das Fernsehen kann man wirklich seit Jahrzehnten nicht mehr neu erfinden.
16. April - Grand Prix der Volksmusik, Schweizer Ausscheidung. Neunzig Minuten Schlager, Alpineskes, Wohlfühlsound. Mein Favorit ist der Instrumental «Alpenzauber» von Adrian Eugster & Conny mit Südwind, weil die Melodie nicht schmiert. Tatsächlich ist die Gruppe am Schluss bei den vier Nominierten: Ich bin auch ein Volksmusikexperte. Probleme bereitet mir Moderatorin Monika Fasnacht, die ein glamourös-schulterfreies Abendkleid in Pink trägt. Nach den ersten drei von zwölf Auftritten sagt sie: «Es chömed no nüün Kandidatinne und Kandidate, schön verschnüert i Viererpäckli.»
17. April - Langfädiger Einstieg zu Traumjob. Jürg Marquard verkündet nach vielen Luftaufnahmen Zürichs, dass diese Stadt ein schampar hartes Wirtschaftspflaster sei, und profiliert sich auch im Folgenden als reichster Plattitüdenproduzent der Schweiz: «Wer sich auf der Strasse durchsetzt, der setzt sich auch im Business durch.» Offenbar hat man ihm beim Fernsehen beigebracht, langsam zu sprechen, weswegen er alle zwei, drei Wörter eine Pause einlegt wie eine synthetische Computerstimme. Von Marquard abgesehen, ist die erste Folge aber okay: Selektionsspielchen in der Gruppe eben. Der «Task» (Marquard), bei dem am Valentinstag mit einem Startkapital von 500 Franken unter Zeitdruck Blumen ge- und verkauft werden müssen, endet mit einem Sieg des Frauenteams. Noch mehr als sonst glänzt Marquards exekutives Gesicht, als er vor seinem Flugzeug die Nachricht von der Niederlage des Männerteams entgegennimmt – ein Kopf wird rollen, das macht Spass. Traumjob bei Marquard? Wer das will, ist mir ein Mysterium.